Verantwortlichkeit des Experten für berufliche Vorsorge

Aus einem neuen Bundesgerichtsurteil geht hervor, dass der Experte für berufliche Vorsorge bei einem Betrug im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung gleichermassen verantwortlich ist wie die Revisionsstelle. Damit weitet das Gericht die Verantwortlichkeit des Experten gemäss Art. 52 und 56a BVG massiv aus. Ergibt das Sinn?

IN KÜRZE – Für das Bundesgericht gehört es zu den Pflichten des Experten, zu kontrollieren, ob die Vermö- genswerte effektiv vorhanden sind. Es fragt sich, ob dies ange- bracht ist, und wo die Abgrenzung speziell zur Revisionsstelle ist.

Am 18. Dezember 2014 veröffentlichte das Bundesgericht im Rahmen der Affäre der Sammelstiftung «First Swiss Pension Fund» fünf Urteile über die Verantwortlichkeit der Organe einer Vorsorgeeinrichtung (VE) gemäss Art. 52 und 56a BVG. Im BGE 9C_248/2014 geht es insbesondere um die Verantwortlichkeit des Experten für die berufliche Vorsorge (nachstehend: PK-Experte). Da wir keinen direkten Zugriff auf das Dossier hatten, gehen wir hier nicht auf den Sachverhalt als solchen ein, sondern untersuchen die generellen Folgen dieses Urteils.

Die Rolle des PK-Experten

Die Aufgaben eines Organs können aus dem Gesetz und den dazugehörigen Ausführungsverordnungen, der Stiftungsurkunde und ihren Reglementen, aus den Entscheiden des Stiftungsrats, aus einem Vertrag oder den Weisungen der Aufsichtsbehörde (BGE 138 V 235,E. 4.1) hervorgehen. Unter anderem prüft der BVG-Experte periodisch, ob die VE jederzeit Sicherheit dafür bietet (Art. 65 BVG), dass sie ihre Verpflichtungen erfüllen kann und dass die reglementarischen versicherungstechnischen Bestimmungen den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Er unterbreitet dem obersten Organ Empfehlungen insbesondere über die technischen Grundlagen und die Massnahmen, die im Fall einer Unterdeckung einzuleiten sind (Art. 52e BVG).

Die Sicherheit (der Erfüllung der Vorsorgezwecke) muss in Würdigung der gesamten Aktiven und Passiven sowie der Struktur und der zu erwartenden Entwicklung des Versichertenbestands evaluiert werden (Art. 50 BVV 2).

Sachverhalt

Im erwähnten Urteil bestätigt das Bundesgericht die solidarische Verurteilung des PK-Experten zur Zahlung eines Betrags von 9.1 Mio. Franken (zuzüglich Zinsen) als Ersatz für einen Schaden, der insgesamt mit rund 33 Mio. Franken beziffert wird. Innerhalb dieser Sammelstiftung in der Gründungsphase hätte der PK-Experte unter dem Aspekt der Anlageorganisation das tatsächliche Vorhandensein einer Bankgarantie zwingend prüfen müssen (E. 6, 6.2.2). Die Bundesrichter werfen dem Experten ganz allgemein grobfahrlässige und schuldhafte Passivität vor (insbesondere E. 7). Hier geht es nicht darum, die an sich nachgewiesene Passivität des PK-Experten zu erörtern. Vielmehr wollen wir verstehen, wie das Bundesgericht aufgrund eines Elements, das zur materiellen Vermögenskontrolle gehört und damit spontan betrachtet eher der Revisionsstelle obliegt, zu diesem Schluss kommt.

Der PK-Experte als Verantwortlicher der Anlagestruktur

Aus einer in dieser Publikation im Jahr 2010 veröffentlichten Meinung eines PK-Experten (eine unseres Erachtens fragwürdige und sicher ungenügende Basis!) leitet das Bundesgericht einen umfassenden Auftrag des PK-Experten ab, die Aktiv- und Passivseite der Bilanz gesamtheitlich und dynamisch zu prüfen. Darüber hinaus gilt es, dieser Aufgabe fortdauernd nachzukommen, da die VE jederzeit Sicherheit dafür bieten muss, dass sie ihre Verpflichtungen erfüllen kann. Daraus geht hervor, dass die Kontrollen des PK-Experten selbstbestimmt (sua sponte), ohne Aufforderung der VE oder der Aufsichtsbehörde geboten sein können (E. 6, 6.1.5).

Wir stellen deshalb fest, dass die Erwägungen des BG nicht vollumfänglich mit der geltenden Praxis übereinstimmen und eine Reihe konkreter Probleme aufwerfen:

  1. die Tragweite der Rolle (und damit der Verantwortlichkeit) des PK-Experten für die Aktivseite der Bilanz, die unseres Wissens im Gesetz nicht direkt festgelegt ist;
  2. der spontane Charakter einer Intervention ohne Aufforderung des Auftraggebers im Rahmen eines vertraglichen Auftrags (Art. 394ff OR), der den üblichen formalen Rahmen für die Beziehung zwischen der VE und ihrem PK-Experten bildet;
  3. der Auftrag zur «Prüfung/.berprüfung/ Kontrolle» des PK-Experten. Im Lauf der gesetzgeberischen Entwicklung kommt es zu einem Bedeutungswandel, der von wiederholten Analogieschlüssen aus der Rolle der Revisionsstelle gemäss Obligationenrecht beeinflusst wird.

Natürlich verlangen wir keine zusätzliche Regulierung! Wir müssen aber feststellen, dass die aktuelle normative Basis für die Definition der Rolle des BVGExperten in Bezug auf die Kontrolle der Vermögensstruktur ungenügend ist. Sie lässt den Gerichten einen (zu grossen?) Interpretationsspielraum. Da es im konkreten Fall darum geht, dass weitgehend der Richter das Werturteil fällt, ob ein Verhalten fahrlässig ist (BGE 128 V 124,E. 4e), müssen wir uns fragen, ob die Aufgabe des PK-Experten nicht besser geschützt werden sollte.

Zu klärende Fragen

Wie die Dinge heute stehen, müssen wir die Tragweite dieses Entscheids für die Tätigkeit der PK-Experten und die möglichen praktischen Folgen hic et nunc anerkennen. Folgende Elemente bedürfen unseres Erachtens einer baldigen Klärung, ohne dass wir uns heute zur geeigneten Methode äussern wollen (Gesetz, Verordnung, Fachrichtlinien, OAK-Weisungen und so weiter):

  1. Interventionsbereich des PK-Experten im Zusammenhang mit der Bilanz-Aktivseite;
  2. Abgrenzung des Auftrags des PK-Experten gegenüber jenem der Revisionsstelle und des Finanzberaters;
  3. Verantwortlichkeit in Bezug auf das Asset- und Liability-Management;
  4. Modalitäten für selbstbestimmte Interventionen des PK-Experten und die Art der Entlohnung (da uns die Entlohnung im Stundenlohn in dieser Situation kaum möglich scheint);
  5. fortdauernder Charakter der Aufgabe des PK-Experten.

Fazit

Die durch dieses jüngst ergangene Urteil aufgeworfenen Fragen sind komplex. Sie könnten zu einer für den Berufsstand schädlichen Unsicherheit führen. In einem Umfeld, in dem die Zahl der Regelungen und der Preisdruck rapide zunehmen und die Arbeit des PK-Experten immer schwieriger wird, müssen sie schnell behandelt werden. Die Berufsverbände der Aktuare und der Pensionskassen sollten sich damit befassen. In einem anderen jüngst aufgeworfenen Fall geht es aller Wahrscheinlichkeit nach um die betrügerische Entwendung eines grossen Teils des Vermögens einer halbstaatlichen Freiburger Gemeinschaftsstiftung. Die strikte Anwendung gewisser Prinzipien aus diesem Entscheid über die Rolle des PK-Experten in der Vermögensaufsicht könnte die betroffenen Experten in grosse Schwierigkeiten bringen, selbst wenn sie ihre Aufgabe in Bezug auf die Passivseite der Bilanz getreu und sorgfältig erfüllt haben. Entspricht das dem Willen des Gesetzgebers?